Kälteanwendungen sind mehr als nur ein Trend. Von der bekannten Ice-Bucket-Challenge über Eisbäder im Garten bis hin zu modernen Kältekammern – in den letzten Jahren hat die Kältetherapie immer mehr Aufmerksamkeit gewonnen. Doch was ist es, dass diesen Hype auslöst? Was genau passiert, wenn wir unseren Körper Kälte aussetzen, und welche physiologischen Prozesse werden dadurch in Gang gesetzt? Kälteanwendungen sind seit Jahrhunderten ein fester Bestandteil der Naturheilkunde. Doch wie effektiv ist die Kältetherapie wirklich? Kann sie Schmerzen lindern, Entzündungen reduzieren und das Immunsystem stärken? Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es, die diese alten Anwendungen untermauern?
Im Gespräch von Fit Reisen mit Professor Dr. med. Andreas Michalsen, Professor für Klinische Naturheilkunde an der Charité Berlin und Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin, klären wir, wie Kältetherapie als effektive Behandlungsmethode eingesetzt werden kann und was wissenschaftlich dahintersteht.
Interview mit Professor Dr. med. Andreas Michalsen zur Kältetherapie
Fit Reisen: Egal ob Ice-Bucket-Challenge, Eisfass im Garten oder Kältekammer im Hotel – Die Kältetherapie erfährt seit den letzten Jahren steigende Beliebtheit. Wie erklären Sie sich diesen Hype?
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Die steigende Beliebtheit der Kältetherapie lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen. Zum einen wächst das allgemeine Gesundheitsbewusstsein – viele Menschen setzen sich intensiver mit Fitness, Wohlbefinden und auch dem Thema Longevity auseinander. Zum anderen haben zahlreiche wissenschaftliche Studien in den letzten Jahren die positiven Effekte von Kältekammern und Eisbaden bestätigt. Diese Erkenntnisse wurden von den Medien aufgegriffen und haben dazu beigetragen, dass die traditionellen Methoden von Kneipp eine Renaissance erleben.
Fit Reisen: Wie genau wirkt Kälte auf den Körper, und welche physiologischen Prozesse werden angeregt?
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Kälte setzt gezielt einen positiven Stressreiz, der eine Anpassung im Zell-, Gefäß- und Hormonsystem bewirkt. Dadurch wird die Resilienz des Körpers gestärkt, was sich wiederum positiv auf das Immunsystem und den Stoffwechsel auswirkt. Für die Blutgefäße und das Herz funktioniert Kälte ähnlich wie ein Gefäßtraining – vergleichbar mit sportlicher Aktivität. Zudem fördert die Kälte die Bildung von braunem Fettgewebe, das nicht nur zur Wärmeerzeugung dient, sondern auch helfen kann, Übergewicht und Typ-2-Diabetes vorzubeugen. Darüber hinaus hat Kälte eine entzündungshemmende Wirkung, da sie über Haut und Gefäßsystem die Produktion bestimmter Zytokine anregt.
Fit Reisen: Für welche Beschwerden oder Gesundheitsziele ist die Kältetherapie besonders geeignet?
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Die Kältetherapie kann vielseitig eingesetzt werden und bietet zahlreiche gesundheitliche Vorteile. Sie wirkt schmerz- und entzündungshemmend, weshalb sie besonders bei Erkrankungen wie Rheuma oder Arthrose hilfreich sein kann. Zudem unterstützt sie – in Kombination mit einer ausgewogenen Ernährung – die Gewichtsreduktion und kann das Risiko für Typ-2-Diabetes senken. Langfristig trägt sie dazu bei, den Blutdruck zu regulieren und das Herz-Kreislauf-System zu schützen. Darüber hinaus stärkt sie das Immunsystem und ist in der Sportmedizin sehr geschätzt, da sie Muskelkater reduziert und die Regeneration nach intensiver körperlicher Belastung fördert.
Fit Reisen: Zu den verschiedenen Kälteanwendungen: Worin sehen Sie die Vorteile der Kältekammer? Was spricht für regelmäßiges Eisbaden? Warum sind Kneippgüsse empfehlenswert?
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Jede Kälteanwendung hat ihre eigenen Vorteile. Die Kältekammer ist besonders gut dosierbar, weniger anstrengend als das Eisbaden und eignet sich hervorragend für den medizinischen Einsatz, zum Beispiel in der Rheumatologie. Eisbaden hingegen ist eine kostengünstige und äußerst effektive Methode, allerdings in den Sommermonaten nur eingeschränkt möglich. Kneippgüsse, Wickel und Bäder sind zwar nicht so intensiv wie die Kältekammer oder das Eisbaden, dafür aber äußerst alltagstauglich – sie lassen sich einfach zu Hause in die tägliche Routine integrieren und bieten dennoch viele gesundheitliche Vorteile.
Fit Reisen: Wie ist die aktuelle Studienlage bei der Kältetherapie? Konnten die positiven Wirkungen auch schon über die Forschung nachgewiesen werden?
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Die wissenschaftliche Forschung zur Kältetherapie nimmt stetig zu, und es gibt immer mehr Belege für ihre positiven Wirkungen. So konnte beispielsweise die Wirksamkeit der Kältekammer bei Rheuma, in der Sportmedizin und im Bereich der Immunfunktion nachgewiesen werden. Für die Kneipp-Therapie gibt es Studien, die positive Effekte bei Venenbeschwerden, der Immunfunktion und Bluthochdruck belegen. Beim Eisbaden ist die Studienlage noch begrenzt, jedoch zeigen erste Erkenntnisse, dass es die Stress-Resilienz verbessert und die Bildung von braunem Fettgewebe fördert, das eine wichtige Rolle für die Wärmeregulierung und den Stoffwechsel spielt.
Fit Reisen: Gibt es gesundheitliche Risiken oder Kontraindikationen für die Kältetherapie?
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Grundsätzlich sind Kneippgüsse, Wickel und Wassertreten sehr gut verträglich. Menschen mit dem Raynaud-Syndrom sollten jedoch vorsichtig sein. Das gilt auch für die Kältekammer, die für die meisten gut geeignet ist – allerdings sollten Personen mit akuten Infekten, instabilen Herzerkrankungen oder stark erhöhtem Blutdruck darauf verzichten. Eisbaden stellt eine intensivere Kältereiz-Methode dar und sollte schrittweise aufgebaut werden. Besonders Menschen mit Kreislaufproblemen sollten vorsichtig herangehen und sich idealerweise begleiten lassen, da in seltenen Fällen ein sogenannter Tauchreflex auftreten kann, der zu einem plötzlichen Blutdruckabfall führt. Für Einsteiger empfiehlt es sich, Kopf und Hände anfangs nicht unterzutauchen, um den Körper behutsam an die Kälte zu gewöhnen.
Fit Reisen: Wie lässt sich Kälte gezielt im Alltag nutzen, um langfristig von den positiven Effekten zu profitieren? Was kann man ohne viel Aufwand zu Hause mit Kälte machen?
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Kälte lässt sich ganz einfach in den Alltag integrieren, um langfristig von ihren positiven Effekten zu profitieren. Kneippgüsse oder kaltes Duschen einmal täglich sind eine ideale und unkomplizierte Möglichkeit. Wer es etwas intensiver mag, kann sich eine Eistonne zulegen – diese sind mittlerweile kostengünstig erhältlich. In vielen größeren Städten gibt es zudem immer mehr Kältekammer-Angebote, bei denen sich ein Preisvergleich lohnt.
Fit Reisen: Vielen Dank für das Gespräch und die spannenden Einsichten.
Interview: Sarah Hachmann
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