„Schlechter Schlaf verkürzt unser Leben – und zwar drastisch.“ Das besagt eine kürzlich veröffentlichte Studie der University of California. Demnach erhöht sich das Sterberisiko um 12 %, wenn wir regelmäßig unter sechs Stunden Schlaf pro Nacht bekommen. Schlaf ist neben einer ausgewogenen Ernährung, regelmäßiger Bewegung und mentaler Gesundheit einer der Schlüsselfaktoren für Longevity – also ein langes und gesundes Leben. Doch was steckt hinter der Verbindung zwischen Schlaf und Langlebigkeit? Welche gängigen Mythen führen uns in die Irre, und welche Maßnahmen helfen wirklich, um gut zu schlafen?
Im Interview mit der Schlafexpertin Thea Herold, Teamleiterin der Schlafakademie Berlin, versuchen wir herauszufinden, welche Strategien nachhaltig zu gesünderem Schlaf und somit einem längeren Leben führen können.
Interview mit Schlafexpertin Thea Herold
Fit Reisen: „Frau Herold, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen! Lassen Sie uns gleich zum Thema kommen: Den gesunden Schlaf umranken viele Mythen – Dauer, Umgebung, Einschlafzeit – alles ist von Bedeutung, wenn man dem Volksmund Glauben schenkt.“
Herold: „Stimmt.“
Fit Reisen: „Drei der bekanntesten Mythen wollen wir nun auf den Grund gehen. Der erste davon lautet: Je länger wir schlafen, desto gesünder ist es für unseren Körper. Stimmt das?“
Herold: „Nein, nicht so absolut. Die ideale Schlaflänge unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, die Wohlfühlschlaflänge ist unterschiedlich. Manche schlafen unter sechs Stunden und das ist schon genug für sie. Andere schlafen siebeneinhalb bis acht Stunden. Das sind statistisch die meisten von uns, so etwa 80 %. Und wieder andere brauchen bis zu zwölf Stunden Schlaf.“
Fit Reisen: „Bis zu 12 Stunden – da bleibt nicht mehr so viel vom Tag übrig, um etwas zu schaffen, oder?“
Herold: „Unterschätzen Sie die langen Schläfer nicht – Einstein und Goethe waren Langschläfer, und niemand käme auf den Gedanken, sie hätten in ihrem Leben nicht etwa Wunderbares geschaffen.“
Fit Reisen: „Touché. Kommen wir zum zweiten Mythos: Ein Nickerchen am Tage führt dazu, dass wir nachts schlechter schlafen. Ist das tatsächlich so?“
Herold: „Nicht für alle, nein. Nur wenn jemand mit nächtlichen Schlafproblemen kämpft, sollte diese Person tatsächlich auf einen Mittagsschlaf verzichten. Für alle anderen aber ist so ein Mittagsschlaf ein Segen. Denn er erfrischt uns und erhöht außerdem die Konzentrationsfähigkeit für die zweite Tageshälfte. Er macht uns ausgeglichener. Tut einfach gut.“
Fit Reisen: „Wie lange sollte das Nickerchen am Mittag denn dauern?“
Herold: „Zwischen 15 und 20 Minuten reichen dafür aus. Wer länger schläft, riskiert, in eine Tiefschlafphase zu fallen, und dann sind wir beim Aufwachen etwas schläfrig.“
Fit Reisen: „Gut zu wissen. Kommen wir zu Mythos Nummer drei: Der Schlaf vor Mitternacht ist der Gesündeste – was ist da dran?“
Herold: „Das hängt ganz davon ab, was für ein Chronotyp ich bin. Menschen, die „Eulen“ sind – die also normalerweise erst nach Mitternacht ins Bett gehen – erholen sich in ihrem späten Schlafintervall genauso gut, auch wenn sie keine einzige Stunde vor Mitternacht schlafen – Hauptsache, sie schlafen regelmäßig zur selben Zeit.“
Fit Reisen: „Dann ist also auch Regelmäßigkeit der Schlüssel zur gesunden Nachtruhe – egal von wann bis wann sie dauert?“
Herold: „Genau.“
Fit Reisen: „Von Mythen zu Tatsachen: Welche Tipps haben Sie für Menschen, die ihre Schlafhygiene verbessern wollen?“
Herold: „Es gibt ein paar grundsätzliche und auch gut bekannte Regeln, zum Beispiel Vorhänge zuziehen und die Temperatur auf ein angenehmes Maß regulieren. Was ich selber – gerade im 21. Jahrhundert – außerdem sehr wichtig finde, ist eine Phase des Digital Detox vor dem Schlafengehen. Wir brauchen eine Pause von Smartphone, Computer und iPad. Denn einerseits hemmt das vom Smartphone abgegebene Blaulicht den Ausstoß des Hormons Melatonin, welches wir zum Einschlafen benötigen. Andererseits füllen Apps und Social Media unsere Gedanken wieder randvoll mit dem Geschehen des Tages. Das ist sehr kontraproduktiv für eine friedliche Nachtruhe.“
Fit Reisen: „Das ist für viele nun leichter gesagt als getan. Smartphones üben manchmal eine geradezu magische Anziehungskraft aus.“
Herold: „Ja, das kenne ich auch. Und in dem Fall rate ich zu konsequenten Maßnahmen: Legen Sie ihr Handy weit genug weg, so dass Sie nicht rankommen. Bauen Sie gerne noch einen Sicherheitsabstand mit ein – sonst ist die Versuchung vielleicht doch zu groß.“
Fit Reisen: „Sollten wir auch nahrungstechnisch darauf achten, was wir in den Abendstunden zu uns nehmen?“
Herold: „Auf jeden Fall! Abends auf schwere Speisen zu verzichten, sorgt für guten Schlaf. Wenn der Magen lange noch verdauen muss, so wie auch bei Rohkost, knackigem Salat oder eben schwere Fleischspeisen – das stört beim Einschlafen. Eine gute Alternative sind unter anderem Gemüsebrühe, gekochtes Gemüse und Nudeln. Außerdem unterschätzen wir oft, wie sehr Getränke uns wachhalten können. Sei es Alkohol, Energy Drinks oder Orangensaft. Letzterer wirkt erfrischend und sollte deshalb nicht zum Abendbrot gehören.“
Fit Reisen: „An der Legende, dass ein Glas Rotwein beim Einschlafen hilft, ist also nichts dran?“
Herold: „Naja, Alkohol ist in gewisser Weise schlafanstoßend. Allerdings wirkt er sich negativ auf die Tiefschlafphase aus, welche wir zur Regeneration dringend benötigen. Und er fragmentiert den Schlaf in der zweiten Nachthälfte. Man mag vielleicht schneller einschlafen, die Schlafqualität selbst jedoch wird darunter leiden.“
Fit Reisen: „Interessant. Eine Alternative zu Alkohol sind Tees. Die stehen im Ruf, einschlaffördernd zu wirken – stimmt das?“
Herold: „Das kommt ganz drauf an, welchen Tee Sie trinken. Schwarztee und Grüntee haben eine belebende Wirkung, die gehören also nicht auf den Abendbrottisch. Fencheltee, Früchtetee und spezielle Schlaftees wiederum haben eine beruhigende Wirkung und können der guten Nachtruhe durchaus förderlich sein. Wer Tees nichts abgewinnen kann, kann alternativ zu alkoholfreiem Bier oder Wasser greifen.“
Fit Reisen: „Da ist also für alle etwas dabei. Die meisten von uns haben ab und an eine schlechte Nacht und liegen länger wach, ohne wieder einschlafen zu können. Was sind typische Fehler in dieser Situation?“
Herold: „Diese Aufwachphasen – Arousal – sind relativ natürlich. Das „Durchschlafen“ ist auch so ein Mythos, denn das gibt es gar nicht. Wenn Sie aufwachen, fangen Sie bloß nicht an, auf die Uhr zu schauen. Dann rechnet man sich automatisch aus, wie viel Zeit einem noch zum Schlafen bleibt – und diese Rechnerei stresst. Und Stress ist bekanntermaßen der Schlafkiller Nummer eins. “
Fit Reisen: „Keine Uhr, ist notiert. Und wozu raten Sie, wenn man schon beim Einschlafen Probleme hat?“
Herold: „Vielen von uns hilft eine Art Ritual vor dem Zubettgehen. Rituale vermitteln uns Geborgenheit und erlauben Körper und Geist, langsam herunterzufahren. So ein Ritual kann eine letzte Wächterrunde durch das Haus sein, bei dem man schaut, dass der Tag hinter uns liegt und alles soweit in Ordnung ist. Man kann Blumen gießen. Musik hören, Lesen. Oder Tagebuch führen. Da hat jede und jeder seine eigenen Präferenzen.“
Fit Reisen: „Was ist Ihre Routine?“
Herold (lacht): „Ich wasche ab, putze die Küche.“
Fit Reisen: „Beruhigend und gleichzeitig praktisch. Haben Sie noch einen abschließenden Ratschlag für Menschen, die gesünder schlafen wollen?“
Herold: „Schlafen Sie ohne schlechtes Gewissen. Geben Sie Ihrem Schlaf die Zeit, den er braucht. Trotz Stress. Das ist letztendlich eine größere Investition in Ihre Zukunft, in die Gesundheit. Schlafen ist ein universelles Geschenk und viel mehr, als noch einen Punkt mehr von der To-Do-Liste abzuhaken.“
Fit Reisen: „Vielen Dank für das Gespräch, Frau Herold.“
Interview: Naomi Rieger