Der Welt Rheuma Tag findet jährlich am 12. Oktober statt. Mit diesem Aktionstag soll das Bewusstsein für Rheuma-Erkrankungen in der Öffentlichkeit geschärft und Betroffene durch Vorträge auf den neuesten Therapie-Stand gebracht werden.
Wir sind besonders froh für ein so wichtiges Thema Frau Willer-Westrich als Interview-Partnerin gewonnen zu haben. Frau Willer-Westrich ist stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Rheuma-Liga Landesverband Hamburg e.V., einer der Organisatoren des Welt Rheuma Tages.
Liebe Frau Willer-Westrich, vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit für das Interview mit uns nehmen. Sie sind eine der Organisatorinnen des auch in diesem Jahr wieder stattfindenden Welt Rheuma Tages. Was waren vor 15 Jahren und sind immer noch die Beweggründe für diesen Aktionstag?
Der Welt-Rheuma-Tag findet jährlich am 12. Oktober statt, um die Anliegen rheumakranker Menschen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und einen direkten Austausch zwischen Patienten und Rheumatologen außerhalb der Praxis zu ermöglichen. Auch viele Nicht-Mitglieder kommen zu dieser Veranstaltung und können so auch die Rheuma-Liga und ihre Angebote kennenlernen. Es gibt Vorträge zu verschiedenen Rheuma-Themen, denn es ist wichtig als Erkrankter auf dem neuesten Stand zu sein und seine Erkrankung sowie ihre Auswirkungen zu verstehen. Die Rheuma-Liga Hamburg organisiert seit vielen Jahren diese große Informationsveranstaltung zum internationalen Welt-Rheuma-Tag, an der jedes Jahr rund 450 Menschen teilnehmen.
Dieses Jahr findet Ihr Programm zum Welt Rheuma Tag digital statt. Was können interessierte Zuschauer erwarten?
Wegen der Corona-Pandemie können wir in diesem Jahr das Veranstaltungskonzept in Hamburg leider nicht wie gewohnt durchführen. So haben wir im Vorwege alle Expertenvorträge aufgezeichnet, welche Interessierte ab dem 12. Oktober online abrufen können. Die aktuellen Vorträge geben Übersicht darüber, was es Neues zu verschiedenen rheumatischen Erkrankungen gibt. Darüber hinaus stehen online inzwischen fast 50 Expertenvorträge kostenlos und jederzeit zur Verfügung.
Unter den folgenden Online-Adressen können die Vorträge von diesem und die der letzten vier Jahre abgerufen werden:
Laut unterschiedlicher Studien steigt die Anzahl an Rheuma-Patienten von Jahr zu Jahr an. Auch immer mehr junge Menschen zählen zu den Erkrankten. Können Sie diese Entwicklung bestätigen? Und falls ja, wie erklären Sie sich die stetige Zunahme an Rheuma-Patienten?
Insgesamt nehmen Autoimmunerkrankungen zu. Ob und in welchem Umfang Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises zugenommen haben oder ob die verschiedenen Erkrankungen schneller erkannt und erfasst werden, weiß ich nicht. Insgesamt geht man von etwa 17 Mio. Menschen in Deutschland aus, die von einer Krankheit des rheumatischen Formenkreises betroffen sind, vor allem von degenerativen Erkrankungen wie Arthrose. Etwa 1,5 Mio. Menschen leiden unter einer entzündlichen rheumatischen Autoimmunerkrankung, darunter auch ca. 25.000 Kinder.
Auch immer mehr junge Menschen erkranken an Rheuma.
Zu Rheuma zählen über 100 verschiedene Erkrankungen. Somit fällt es schwer, Rheuma (selbst) zu diagnostizieren. Welche Anzeichen deuten auf eine rheumatische Erkrankung hin?
Eine rheumatische Erkrankung zu erkennen ist oft nicht so einfach, denn die Beschwerden sind nicht immer spezifisch. Oft beginnt eine entzündlich-rheumatische Erkrankung mit unspezifischen Symptomen, wie z.B. Fieber, Nachtschweiß, Erschöpfung und Appetitlosigkeit. Die spezifischen Symptome sind je nach Krankheit natürlich unterschiedlich. Bei einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, welche vor allem die Gelenke betrifft, ist z.B. die Verdickung von einem oder mehreren Gelenken typisch. Auch kann es zu Schmerzen oder Rötungen kommen. Morgendliche Steifheit von mehr als einer Stunde, verminderte Beweglichkeit und Krafteinbußen können weitere Symptome sein.
Rheuma zu diagnostizieren, ist gar nicht so einfach.
Wie lässt sich Ihrer Erfahrung nach mit „rheuma-konformer“ Ernährung eine Linderung der Beschwerden erzielen?
Es gibt leider keine Rheuma-Diät. Nur bei der Gicht lassen sich durch konforme Ernährung die Anfälle überwiegend vermeiden. Allerdings kann das Zusammenwirken eines guten Lebensstils mit ausgewogener Ernährung und Bewegung die rheumatischen Beschwerden lindern und somit den Verlauf positiv beeinflussen. Eine ausgewogene Ernährung wie sie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, ist auch für Rheumatiker empfehlenswert. Dazu kommen ein paar generelle Empfehlungen bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen:
- Normalgewicht anstreben
- Vermeidung von Alkohol- und Zigarettenkonsum
- Verzehr fetter Seefische und Verwendung hochwertiger Pflanzenöle mit hohem Gehalt an Omega-3-Fettsäuren und Vitamin E
- reichlicher Verzehr von Lebensmitteln mit viel Kalzium, viel Gemüse und Getreide- bzw. Vollkornprodukten u.a.).
Aber Essen sollte weiterhin Spaß machen!
Inwiefern wirkt sich Bewegung positiv auf Rheuma aus?
Rheuma braucht Bewegung, und zwar kontinuierlich und regelmäßig! Gezielte regelmäßige Bewegungstherapie ist bei den meisten rheumatischen Erkrankungen daher unverzichtbar. Mangelnde Bewegung führt zu Schädigungen an den Gelenken, die später nicht mehr zu kompensieren sind. Zwar fällt es vielen Menschen mit Arthritis oder Arthrose schwer, trotz der Schmerzen in Bewegung zu kommen, aber gerade durch Bewegung tritt eine Linderung der Schmerzen ein, da die “Gelenkschmiere”, die viel Hyaluron enthält, den Knorpel ernährt. Die Gelenke werden also beweglicher und Schmerzen reduziert.
Wie bewerten Sie alternative Therapieformen wie Thermalkuren (Hydrotherapie), Fastenkuren oder Ayurveda Kuren als Mittel zur Rheumabehandlung bzw. -Linderung?
Thermalkuren werden generell bei Gelenkbeschwerden als positiv empfunden und sind Bestandteil von Reha-Maßnahmen. Bei stark geschwollenen Gelenken kann allerdings auch Kälte Abhilfe schaffen. Manche schwören auf die Radontherapie, welche die Beschwerden längerfristig lindern soll. Auch Fastenkuren können die Entzündungstätigkeit positiv beeinflussen. Leider können alternative Therapien i.d.R. die medikamentöse Therapie nicht ersetzen. Eine Basistherapie ist bisher unerlässlich, damit sich die rheumatische Erkrankung nicht verschlimmert und im Körper ausbreitet. Bei anderen alternativen Therapieformen müssen die Rheumapatienten ausprobieren, was ihnen gut tut und positiven Einfluss auf ihre Erkrankung hat.
Ich persönlich mache einmal im Jahr eine originäre Ayurveda-Kur (also kein Wellness-Urlaub) und fühle mich längere Zeit danach sehr wohl, bin sehr beweglich und habe weniger Schmerzen.
Thermalkuren können bei Rheuma Linderung schaffen.
Stichwort Urlaub: Was sind Ihre Erfahrungen in Bezug auf „rheumagerechtes Reisen“? Abgesehen von Therapien – was tut Rheuma-Patienten besonders gut – frische Bergluft oder warmes Klima, Hotelausstattung etc.? Gibt es in dem Bereich ein zufriedenstellendes Angebot oder sehen Sie hierbei eine Art „Marktlücke“?
Viele an Arthrose und Arthritis Erkrankte bevorzugen warmes Klima (nicht heiß!) Letzten Endes kommt es darauf an, welche Erkrankung vorliegt und ob die Rheumapatienten gut eingestellt sind, d.h. nur wenig Beschwerden haben oder ob schon Schädigungen an den Gelenken und Bewegungseinbußen bestehen. Wer gut eingestellt ist, kann im Grunde alles machen, auch im Urlaub. Wer schon Einschränkungen hat, würde sich Reisen alleine vielleicht nicht zutrauen und da würde eine Gruppenreise mit Gleichgesinnten und entsprechender Hilfe sicherlich gut ankommen. Überhaupt Reisen in Verbindung mit moderater Bewegung und der Austausch mit Gleichgesinnten wären eine Idee. Aber viele Patienten mit schweren Verläufen beziehen häufig Sozialleistungen oder sind in Frührente, so dass der finanzielle Spielraum für einen Urlaub nicht sehr groß ist.
Welchen Einfluss hat – nach jetzigem Kenntnisstand die Corona-Pandemie – auf Rheuma-Erkrankungen? Lässt sich unter Rheuma-Patienten ein schwerwiegenderer Corona-Krankheitsverlauf feststellen?
Nach derzeitigem Stand gibt es kein erhöhtes Risiko an Covid-19 zu erkranken. Natürlich ist dies abhängig von der Art und Schwere der rheumatischen Erkrankung, den eingesetzten Medikamenten und eventuellen Nebenerkrankungen. Es gibt eine Studie (Antikörperstudie des Deutschen Zentrums für Immuntherapie Erlangen), die zu dem Schluss kommt, dass die entzündungshemmenden Medikamente, die eine dämpfende Wirkung auf das Immunsystem haben, das Risiko einer Infektion mit Covid-19 senken. Trotzdem ist natürlich Vorsicht geboten.
Wie wirken sich die aktuellen corona-bedingten Umstände (soziale Isolation, ausfallende Arzt- /Therapie-Termine) auf den Verlauf von Rheuma-Erkrankungen aus?
Natürlich herrschte im Frühjahr zunächst Verunsicherung, aber kein Patient sollte wegen Corona Termine absagen, v.a. nicht, wenn eine Basistherapie besteht und regelmäßige Blut- und Therapiekontrollen notwendig sind. Die rheumatologischen Praxen halten sehr strenge Hygienemaßnahmen ein, um ihre teils immungeschwächten Patienten nicht zu gefährden, das war auch vor Corona bereits so. Ich kann verstehen, wenn Patienten unsicher sind, ob sie zur Physiotherapie oder Lymphdrainage gehen sollten, aber auch diese Praxen halten die Hygienemaßnahmen ein. Auf keinen Fall sollte man bei starken Beschwerden aus Angst auf therapeutische und ärztliche Hilfe verzichten!
Wie hilft Ihr Verein, die Deutsche Rheuma Liga, Betroffenen beim Umgang mit der Krankheit?
Seit der Gründung des Bundes-Verbandes 1970 informieren und beraten Betroffene und Fachleute Menschen mit einer rheumatischen Erkrankung. Der Verein arbeitet unabhängig und gemeinnützig, nur finanziert durch Mitgliedsbeiträge.
Die Landes-Verbände der Deutschen Rheuma-Liga bieten rheumaspezifische Serviceangebote in den jeweiligen Bundesländern an. Hierzu gehören vor allem: Bewegungsangebote, die der Krankheit angepasst sind (sog. Funktionstraining: Wasser- oder Trockengymnastik oder auch mal Yoga oder Qi-Gong u.a.). Information und Beratung, Seminare und Schulungen tragen zur Stärkung der Kompetenzen bei, um mit der Erkrankung leben zu können und Begegnungsmöglichkeiten im Rahmen von Selbsthilfegruppen unterstützen dies. Allen Mitgliedern bieten wir auch individuelle Beratungen an, damit sie bestmöglich mit ihrer Erkrankung leben können (z.B.: Sozialberatung oder systemischen Beratung). So stärken wir unsere Mitglieder im Umgang mit ihrer Erkrankung. Durch zahlreiche öffentliche Informationsveranstaltungen versuchen wir möglichst viele Menschen zu erreichen und für das Thema zu sensibilisieren.
Die Deutsche Rheuma-Liga ist auch Sprachrohr für die Interessen rheumakranker Menschen in Politik und Öffentlichkeit. Sie nimmt vorhandene Beteiligungsrechte in der Gesundheits- und Sozialpolitik wahr und setzt sich für eine Erweiterung der individuellen und kollektiven Patientenrechte ein. Dies geschieht mit den Zielen, die Situation rheumakranker Menschen in allen Lebensbereichen zu verbessern, sich in der Bewältigung der Krankheit und ihrer Folgen gegenseitig zu unterstützen, für alle Betroffenen den Zugang zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten bereitzustellen und (Folge-)Krankheiten des rheumatischen Formenkreises nach Möglichkeit vorzubeugen.
Liebe Frau Willer-Westrich, vielen Dank für das sehr interessante Interview!
Weiterführende Informationen zum Thema “Rheuma”: